Peter Nádas: Ohne Pause. Drei Stücke
Peter Nádas, Ohne Pause. Drei Stücke(Pause, er ringt nach Worten)
Ich habe es mir vorgestellt. Eher vorgestellt. So heißt es doch, vorgestellt. Daß man sich etwas vorstellt, was sein könnte. Man sieht es, doch der andere kann es nicht sehen. Man fühlt es auch, aber es geschieht nichts, so daß der andere nichts sehen kann.
(aus: Peter Nádas: Ohne Pause. Drei Stücke)

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Was ist Theater? Ist es das Auf der Bühne stehen und Aufsagen der auswendig gelernten Texte, an den richtigen Stellen richtig betont und genau in der richtigen Lautstärke, vor einem Publikum, dass interessiert hinschaut und zuhört? Ist es das Hinausschleudern von Worten, das Hinwerfen von Sätzen, auch solchen, oder vor allem solchen, welche schockieren, sich wie Stöße oder Schläge anfühlen? Ist es wie Fernseher, nur ohne Fernsehgerät? Wie Radio, nur ohne Radiogerät? Wie Ballett, nur ohne Tanz? Wie ein Roman, nur ohne Buch?

Theater ist nichts davon. Und alles zusammen. Theater spricht in der Stille und schweigt in vielen Silben. Es werden Worte gemacht, und, ja, auch Texte auswendig gelernt, aber es ist mehr als Reden und Schweigen. Es ist Atmen. Es ist Spiel und doch mehr als das. Es ist Leben und doch anders. Weniger. Mehr.

In Peter Nádas Ohne Pause. Drei Stücke erliest sich der Leser drei Theaterstücke gänzlich ohne Bühne, ohne Schauspieler, ohne gesprochene Worte. Er kennt nicht die Kulissen, kennt nicht die Personen auf der Bühne, nicht die Musik, nicht die Kostüme, nicht die Stimmung. Und doch erliest er sich die Stücke, nimmt sie in sich auf und baut sich seine eigene Bühne, seine eigenen Personen und spricht jedes Wort auf seine Weise.

Anstrengend ist es zuerst, die Anmerkungen zum gewünschten Spiel der Schauspieler nicht als Unterbrechung der Dialoge zu empfinden, sondern viel mehr als deren Unterstreichung. Anstrengend ist es auch, nicht beim Lesen das Gesicht zu verziehen, im Zorn oder in Ergriffenheit, in Spott oder vor Liebe - und plötzlich und selbstverständlich lesen sich Emotionen in die Worte hinein, scheint Lesen eine wechselnde Lautstärke zu haben, scheinen sich Buchstaben hastig oder langsam zu Worten zusammenzufügen.

   ZSUZSA
Mein Sohn ist bei mir.
   KLÁRA
Den du dir vorstellst.
   ZSUZSA
Was ich mir vorstelle, gehört mir.

(aus: Peter Nádas, Ohne Pause. Drei Stücke)


Der Leser weiß nicht, ob seine Kulissen, seine Personen, seine Dialoge Beifall des Autors finden würden. Während er liest, malt er sich Bilder, hört er Sätze fallen, sieht er Personen vor sich und wenn er das tut, wenn er liest, malt, hört und sieht, dann ist er bereits hingefallen, eingetaucht in das Gelesene. Und das, genau das ist Theater. Hineinfallen. Eintauchen. Hören und das Gehörte sehen, in der Körperhaltung, in den Gesten und Bewegungen der Schauspieler wiederfinden. Hören und Sehen sich gegenseitig unterstreichend, vertiefend.

Wie einfach es klingt, als Schauspieler einen Text zu lernen und mit entsprechenden Gesten wiederzugeben. Und doch ist es Mühsal, Plage und sogar Elend, sich einzulassen, auf diese Person, die man selbst nicht ist, die man vielleicht sogar überhaupt nicht leiden kann und mit ihren Gesten und Bewegungen und mit ihrer Stimme zu überzeugen. Sich selbst und das Publikum. Wieviel Mühsal und Plage das sein kann und zumeist ist, erfährt der Leser am Ende des Buches.

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Am Anfang ist es sehr schwer, sich hineinzulesen. Nach durchschnittlich jedem zweiten Satz, gefühlt sogar jedem Satz, zerreißt eine Regieanweisung die Dialoge. Wenn man sich jedoch mit den Personen und deren Situation vertraut gemacht hat, möchte man auch wissen, worum es überhaupt geht und, vor allem, wohin es führen wird.

Ich gebe zu, ich weiß nicht, worum es ging. Wohin es geführt hat, dementsprechend auch nicht. Ich habe aber die Ideen, die ich beim Lesen hatte, die Bilder von den spielenden Personen und die Vorstellung, wie ich diese Szene spielen würde, sehr genossen.

Es war ein Experiment, mich auf dieses Buch einzulassen und ich habe es nicht bereut. Ein Experiment dieser Art jedoch reicht mir, denke ich.