Antoine de Saint-Exupéry: Nachtflug
Antoine de Saint-Exupery, Nachtflug


Minute um Minute, mit jedem Funkspruch, der eintraf, hatte Rivière das wachsende Gefühl, dem Schicksal etwas zu entreißen, den Einfluß des Unbekannten zu verringern und seine Mannschaft aus der Nacht herauszuziehen ans Ufer.

(aus: Antoine de Saint-Exupéry, Nachtflug)


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Rivière lässt seine Piloten Nacht für Nacht aufsteigen, egal, was da auch kommen mag und gegen jeden Widerstand von den Gegnern dieser lebensgefährlichen Unternehmung, und Nacht für Nacht verbrennen die Flugmaschinen Meile um Meile des Vorsprungs, den Land- und Wasserkuriere tagsüber angehäuft haben. Doch obwohl die Rechnung aufgeht, sich das Flugwesen mit seinen umstrittenen Nachtflügen als der schnellere Kurier beweist und Rivière sich so in seinem Tun bestätigt sieht, ist die Zerrissenheit sein fester Begleiter in jeder Nachtwache, wenn er auf das sich nähernde Dröhnen der Flugzeugmotoren wartet, bis sie alle, jeder einzelne, endlich da sind, sicher gelandet, unversehrt, heil.

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Der Leser wird von Antoine de Saint-Exupéry, lebenslang selbst leidenschaftlicher Flieger, in das nächtliche Buenos Aires im Jahr 1928 mitgenommen, an die Seite des verantwortlichen Flugleiters Rivière. Aus Patagonien, Chile und Paraguy kommen Nacht für Nacht die Kuriere und auf sie wartet nicht nur ungeduldig Rivière, sondern auch der Europakurier, der nach ihrer Ankunft in Buenos Aires seinen Nachtflug aufnimmt. Nacht für Nacht dasselbe. Nur in dieser Nacht nicht, diese Nacht ist anders. In dieser Nacht wird eines der Flugzeuge vermisst.

Seite für Seite offenbart sich mehr und mehr die heimliche Zerrissenheit des Flugleiters Rivière, der mit unerbittlicher Härte regiert und für den es keinerlei Entschuldigung für menschliche Schwäche gibt, weil man sie ausmerzen muss, die Schwäche, bevor sie Fuß fassen kann und die Idee, höher als alles andere, das allerhöchste überhaupt, erst gefährdet und dann zerstört.

Was zählt mehr? Ein Menschenleben oder eine Idee? Der einzelne Mensch oder das, was viele Menschen gemeinsam erreichen können, stellt man die Gemeinschaft über das Schicksal des Einzelnen? Menschen leben, Menschen sterben, doch eine Idee, die Hingabe an eine Idee, die lebt weiter und vermag sogar, Unsterblichkeit zu verleihen.

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Er sagte sich wohl, daß das eine Falle sei: man sieht drei Sterne in einem Loch, man steigt zu ihnen hinauf, dann kann man nicht wieder hinunter und mag da oben bleiben und Sterne beißen...
Aber sein Hunger nach Licht war so stark, daß er aufstieg.

(aus: Antoine de Saint-Exupéry, Nachtflug)


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Ein Buch, das ich sehr, sehr mag, nicht nur, weil es eine Kostbarkeit unter einer geschätzten Gigatonne geschenkt bekommener Bücher ist, sondern weil es nahe geht, mit seiner Geschichte über die Pioniere der Nachtflüge und in seiner klaren Sprache, die Bilder malt, in einer Kühle, welche die Farben der Bilder umso wärmer macht.