Mario Vargas Llosa: Das böse Mädchen
Mario Vargas Llosa, Das böse Mädchen "Wie haben Sie entdeckt, dass Sie diese Fähigkeit haben, die Absichten des Meeres zu erraten?", fragte ich. "Als Kind? Als junger Mann? Erzählen Sie es mir. Alles, was Sie mir darüber sagen können, interessiert mich sehr."

(aus Mario Vargas Llosa, Das böse Mädchen)



Ricardo, der Erzähler der Geschichte, wächst behütet, sorglos und unbekümmert in seinem Heimatland Peru heran. Ein ganz normaler Junge inmitten seiner ganz normalen Freunde, verlebt eine ganz normale, wunderschöne, freie Kindheit und Jugend in Lima, bis eines Tages aus dem Nichts zwei kleine Chileninnen auftauchen und mit ihrer frechen und forschen Art allen Jungs die Köpfe verdrehen und Ricardo sich in jenem Sommer voller ausgelassener Straßenspiele Hals über Kopf in eine der beiden verliebt.

Viele Jahre später, Ricardo hat seine Heimat verlassen und lebt als Übersetzer in Paris, seiner geliebten Wahlheimat, taucht die kleine Chilenin plötzlich ganz unverhofft wieder auf und Ricardo steht sofort erneut in Flammen. Aber so plötzlich wie sie auftaucht, verschwindet sie auch wieder; zurück bleibt ein liebeskranker junger Peruaner, der seine Herzensdame, von ihm liebevoll "das böse Mädchen" genannt, niemals mehr vergessen kann.

Das böse Mädchen, das niemals in Chile war, mit den zahllosen Namen, von denen nicht einer ihr wirklicher ist und mit den unzähligen Geschichten im Gepäck, von denen keine wahr ist, kreuzt immer wieder Ricardos Wege. Manchmal liegen wenige Wochen zwischen den Begegnungen, manchmal lange Jahre. Doch wie oft sie ihn auch wie einen geistig minderbemittelten Dummkopf im Regen stehen lässt, auf der Jagd nach Reichtum und Macht, welche sie durch eine raffinierte Heirat zu erhaschen sucht, so oft wickelt sie ihn wieder um den kleinen Finger, immer dann, wenn sie bis zum Halse in Schwierigkeiten steckt und nicht weiter weiß.

Jahr für Jahr vergeht und in jedem einzelnen verflucht Ricardo das böse Mädchen und vergeht gleichzeitig vor Sehnsucht nach ihr. Und dann, in einer leidenschaftlichen Nacht mit dem bösen Mädchen, verrrät und verkauft sie ihn auf eine so üble Weise, dass er ihr auf ewig abschwört und sich die Liebe zu ihr aus dem Herzen reisst.

Weitere lange Jahre später klingelt das Telefon, und als er ihr gegenübersteht, erschrickt er über ihren fürchterlichen Zustand. Todkrank, abgemagert, erbarmenswert fleht sie ihn an, sie nicht abzuweisen. Ricardo, guter Junge und armer Teufel, öffnet erneut Herz, Tür und Tor für das böse Mädchen...

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Der Ich-Erzähler fängt mit der wunderschönen Erzählung einer unbekümmerten Jugend auf den Straßen Limas an und auch die ersten Begegnungen mit dem bösen Mädchen sind kurzweilig und nachvollziehbar erzählt, doch kurz vor der Mitte des Buches mochte ich nach unzähligen Gemeinheiten und entwürdigenden, demütigenden Arschtritten des bösen Mädchens in den trotteligen, dummdämlichen Hintern des Erzählers nicht mehr weiterlesen. Wie weit lässt sich ein Mensch erniedrigen? Wieviel erträgt Liebe, bis sie zu Verzweiflung und bis aus Verzweiflung Hass wird?

Nach einer längeren Pause nahm ich das Buch wieder zur Hand, denn auch wenn ich die eigentliche Geschichte ermüdend und depremierend fand, so erzählt Mario Vargas Lllosa immer wieder auch in wunderbar gemalten Bildern von Peru und Paris, von dem Leben eines genügsamen Mannes in selbsterwählter Einsamkeit, welche nur durchbrochen wird von den Eskapaden mit dem bösen Mädchen und den Reisen, die sein Beruf ihm ermöglicht.

Das letzte Viertel des Buches nahm schließlich eine Wendung, in der mir nicht nur der gute Junge und arme Teufel leid tat, sondern auch das böse Mädchen. Ich habe ihr verziehen, am Schluss, denn wir alle sind auch die Summe unserer Erfahrungen, unserer verlorenen Träume und Sehnsüchte und unserer Ängste.

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Keines meiner tatsächlichen Lieblingsbücher, aber nach den Wendungen auf den letzten Seiten bedauere ich es auch nicht, dieses Buch gelesen zu haben.

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Als Gott am siebenten Tag seiner Schöpfung vom Baume der Erkenntnis aß, erkannte er das Böse seiner Schöpfung und schob es dem Teufel in die Schuhe.

© Erhard Blanck, (*1942),
deutscher Heilpraktiker, Schriftsteller und Maler