Daniel Kehlmann: Die Vermessung der Welt
Daniel Kehlmann, Die Vermessung der WeltDas solle er nie vergessen, sagte der Pastor. Sein Leben lang nicht. Wie klug man auch sei, man habe demütig zu bleiben.
 Warum?
Der Pastor bat um Verzeihung. Er habe wohl falsch verstanden.
 Nichts, sagte Gauß, gar nichts.
Doch, sagte der Pastor, er wolle das hören.

  Er meine es rein theologisch, sagte Gauß. Gott habe einen geschaffen, wie man sei, dann aber solle man sich ständig bei ihm dafür entschuldigen. Logisch sei das nicht.
 Der Pastor äußerte die Vermutung, daß etwas mit seinen Ohren nicht stimme.
Gauß holte ein sehr schmutziges Taschentuch hervor und schneuzte sich. Er sei überzeugt, daß er etwas mißverstehe, aber ihm erscheine das wie eine mutwillige Verkehrung von Ursache und Wirkung.

(aus: Daniel Kehlmann, Die Vermessung der Welt)


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Der Leser begleitet Alexander von Humboldt und Carl Friedrich Gauß, zwei bahnbrechende, geniale Wissenschaftler, von frühen Kindesbeinen an bis ins hohe Alter. Der eine, Humboldt, verschreibt sich der Entdeckung und Erforschung fremder, ferner Länder, durchforstet den Dschungel und besteigt unwirtliche Berge, notiert, katalogisiert, vermisst und kartographiert und untersucht das Innere der Erde. Dabei lässt er mehr als einmal fast sein Leben, denn Entdecker, das war man damals noch ohne Impfung, Sauerstoffzelt und Mobiltelefon. Humboldts einzige, tiefergehende Beziehung ist und bleibt bis zum Ende die zu seinem Bruder; eine Frau oder gar Kinder gibt es nicht in Humboldts Leben.
Der andere, Gauß, verliert sich in der Bezwingung und Entdeckung der Mathematik und der Erkundung und Berechnung der Sterne, setzt dabei kaum einen Fuß vor die Türe, heiratet jedoch und zeugt Nachkommen.

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Licht, rief Humboldt, das sei nicht Helligkeit, sondern Wissen!

(aus: Daniel Kehlmann, Die Vermessung der Welt)


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Beide verfolgen vom einen Ende der Erde zum anderen das Tun und den Werdegang des anderen, jedoch erst nach Überschreiten ihrer beider Gipfelpunkte im Forscher- und Entdeckerleben, als sie beide spüren, wie vergänglich Ruhm und Erfolg sind, entspinnt sich zwischen ihnen so etwas wie Freundschaft.

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Sie wisse schon, jetzt werde er sagen, daß aus der Zukunft zurückgeblickt beide Seiten einander gleichen würden, daß sich bald keiner mehr über das erregen werde, wofür man heute sterbe. Aber was ändere das? Die Anbiederung an die Zukunft sei eine Form der Feigheit. Glaubt er wirklich, man werde dann klüger sein?
 Ein wenig schon, sagte er. Notgedrungen.

(aus: Daniel Kehlmann, Die Vermessung der Welt)


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Ich, vollkommen ahnungslos in der Wissenschaft, weiß nicht, ob es sich zugetragen haben kann, wie es Kehlmann in seinem Buch erzählt. Ich weiß auch nicht, ob wissenschaftlich gesehen jede Zeile, jeder Satz, korrekt ist - kein Wunder, ich bin ja auch keine Wissenschaftlerin, sondern nur eine Leserin, ich muss das auch gar nicht wissen. Ich weiß jedoch, dass mir das Lesen dieses Buches großes Vergnügen bereitet hat, mir die brummelige, kein Blatt vor den Mund nehmende, polternde, verschrobene Art des Herrn Gauß breites Grinsen entlockte und die hinterlistige, doch recht scheinheilige und dabei sehr pfiffige Weise des Herrn Humboldt mich schmunzeln ließ.

Unterhaltsam, manchmal anrührend, manchmal aber auch bitterböse, erzählt Kehlmann in kurzatmigen und lebhaften Absätzen, wie das so ist, als Weltenentdecker und -vermesser, in einer Zeit, in der das Reisen bedeutete, sich tatsächlich auf Pferdestärken zu verlassen und in der man sich noch vor Herzogen und Zaren verbeugte - und beugte. Ich habe keine Ahnung, ob ich als Leserin vergackeumelt wurde, oder ich das Buch weitgehend als authentisch ansehen darf, jedoch weiß ich, dass es so hätte sein können und ich mich herzlich amüsiert habe, während der Vermessung der Welt zwischen Himmel und Erde.

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Mit gepreßter Stimme fragte Vogt, ob das heiße, der Herr verweigere ihm Genugtuung.
 Na sicher. So weit komme es noch, daß er sich von einem Stinkmolch totschießen lasse!

(aus: Daniel Kehlmann, Die Vermessung der Welt)


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Lesenswert, ist meine persönliche Meinung, wenn man zwar von Wissenschaftlern, aber nicht von Wissenschaft unterhalten werden möchte.