F. M. Dostojewski: Schuld und Sühne
Fjodor M. Dostojewski: Schuld und SühneEs springt geradezu in die Augen, daß die meisten dieser Wohltäter und Führer besonders schreckliche Blutshunde waren. Mit einem Wort: ich ziehe den Schluß, daß alle großen Männer - auch jene, die nur ein ganz klein wenig das Alltägliche überragen, daß heißt jene, die nur überhaupt fähig sind, etwas Neues zu sagen - ihrem Wesen nach unbedingt Verbrecher sein müssen... mehr oder weniger selbstverständlich. Sonst fiele es ihnen schwer, das alltägliche Maß zu überschreiten; sie können sich eben, weil das so in ihrer Natur liegt, nicht damit abfinden, im alltäglichen Rahmen zu bleiben, und meiner Meinung nach sind sie sogar verpflichtet, sich nicht damit abzufinden.

(aus: Fjodor M. Dostojewski, Schuld und Sühne)


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Rodion Romanowitsch Raskolnikow, ehemaliger Student der Rechte, erschlägt in der Mitte des 19. Jahrhunderts in St. Petersburg in Geldnot und bitterer Armut eine alte Pfandleiherin und ihre zufällig hinzu kommende Schwester. Schon vor Ausführung der Tat von labiler Gemütsverfassung, machen ihm nach dem Raubmord Schuldgefühle, Gewissensbisse und Angst vor Entdeckung seiner Täterschaft so schwer zu schaffen, dass sich sein Zustand beständig verschlechtert, er sogar psychosomatisch (ja, das gab es damals auch schon, das ist keine Erfindung der Neuzeit) schwer erkrankt.

Noch insgeheim davon ausgehend, ungeschoren davon zu kommen, wirft ihn der Besuch seiner ebenfalls bitterarmen Mutter und jüngeren Schwester endgültig aus der Bahn. Er verliert immer wieder die Beherrschung vor Familie und Freunden, ergeht sich abwechselnd in Wutanfällen und kalter Gleichgültigkeit allen und allem gegenüber und erweckt schließlich durch sein Verhalten und seine verwirrten, unbedachten Worte Misstrauen und Aufmerksamkeit des mit dem Fall betrauten Untersuchungsrichter Petrowitsch.

Noch während sich Rasumichin, Rodons engster Freund, ebenfalls ein ehemaliger Student und in grösster Armut lebend, darum bemüht, der Familie den desolaten Geisteszustand Rodons mit einer dem Nervenfieber ähnlichen körperlichen Erkrankung zu erklären und sich rührend um den aggressiv undankbaren Rodon kümmert, sieht dieser sich immer mehr in die Enge getrieben und vertraut sich schließlich Sonja, einer jungen Prostituierten, an.

Als Rodon sich, mit den Nerven am Ende und dennoch weiterhin zwiespältig, ob er nicht doch mangels Beweisen davon kommen würde, der Polizei stellt, folgt Sonja ihm bis ins Arbeitslager, kümmert sich um ihn, berichtet Rodons Mutter und Schwester in regelmässigen Briefen und nimmt seine an Gehässigkeit erinnernde Gleichgültigkeit ihr gegenüber stets ohne Aufbegehren hin. Erst als Rodon sich bei allen Mithäftlingen durch seine zornige, herablassende und distanzierte Art unbeliebt gemacht hat und Sonja krank wird und ihn nicht mehr besuchen kann, löst sich der harte Knoten in Rodons zugeschnürter Brust.

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Schuld und Sühne erzählt von der Zerissenheit eines jungen Mannes, der zum Mörder geworden ist. Schwermut und Elend umgibt den Leser auf jeder Seite, dazu eine düstere Hoffnungslosigkeit und eine erdrückende Enge sowohl in den ärmlichen Behausungen, als auch in den damaligen gesellschaftlichen Regeln. Krankheit, Leid und Hunger füllen die Tage vom Morgen bis tief in die Nacht - wofür braucht es da noch einen Mord, um in tiefe Depressionen zu verfallen, fragt man sich als Leser beinahe. Dankbar neigt sich das Herz dem jungen Rasumichin zu, der auf seine unvergleichlich rumpelnde und laute Art mit Wärme und Herzlichkeit um sich wirft und auf Teufel komm raus den Freund nicht im Stich lassen will, so sehr dieser auch durch unfreundliches Verhalten danach zu rufen scheint. Und natürlich wünscht man sich, dass die Schwester den alten Sack sausen lässt, der sie als Braut auserkoren hat und eine zumindestens finanziell gesicherte Zukunft verspricht und sie stattdessen den jungen Rasumichin erwählt, der bei ihrem Anblick sofort in Flammen aufging. Was macht es da schon, dass Rasumichin kein Geld hat, wenn er doch dafür Herz und Verstand hat und beides amüsant und anrührend auf der Zunge trägt?

Versöhnlich stimmt am Ende, dass jene, die sich finden sollen, sich auch finden und die, denen man es gewünscht hat, einen kräftigen Tritt in den Arsch bekommen. Die Toten, die jeder auf seine Weise ihre Opfer gebracht haben, bekommen zumindest ein Begräbnis und einige sogar ein würdiges Andenken, andere schaffen sich selbst eines, indem sie Gutes tun, dort wo sie ursprünglich Böses im Sinn gehabt haben.

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Ein Buch, das man nicht lesen sollte, wenn man selbst gerade in Düsternis wandelt, denn licht ist es nur selten in Schuld und Sühne. Ein Buch auch, das allen Recht gibt, die meinen, das am Ende immer abgerechnet wird. Und ein Buch, dass am Anfang einen langen Atem verlangt, aber dafür später mit rasanten Verwicklungen, vielen wunderschönen und komplizierten Namen, einigen spannenden Wortgefechten, irrsinnigen Verflechtungen und einem doch zufriedenen warmen Bauch ganz am Ende belohnt. Lesenswert!