Ohne dich ist alles doof
Ohne dich ist alles doof

Das letzte Foto. Im letzten September. In seinem letzten Urlaub. Da wussten wir schon, dass wir ganz bald eine Entscheidung treffen müssen. Eine, die ihm ein Sterben in Würde gestattet. Friedlich. Entspannt. So weit das möglich ist, mit heulenden Menschen drumherum.

Die Entscheidung haben wir immer wieder hinausgeschoben. "Mal gucken, wie es nächste Woche ist, diese Woche geht er doch noch so gerne mit raus, auch wenn es nur noch wenige Meter sind." Oder: "Warten wir diesen Monat noch ab, der ist eh fast vorbei, und gucken, wie es ihm im nächsten Monat geht."

Die Entscheidung hat er uns dann letztlich abgenommen. Nach einem wunderschönen Freitagabend, an dem ich beim Einkauf ganz spontan diese fettige Hühnerbrühe in den Wagen packte, die er so gerne über seinen gesunden Trockenkroketten mochte und die er dann später begeistert verschlang. Und nach einem zusätzlichen, spontanen Spaziergang, weil plötzlich nach langer Zeit mal wieder die Sonne durchbrach und es so schön freundlich draußen war.

Am nächsten Morgen ging es dann ganz schnell. Relativ betrachtet. Für ihn, der keine Luft mehr bekam, weil er quasi ertrank, und der mit uns gemeinsam eine halbe Stunde auf den Tierarzt wartete, war es sicher eine endlose Zeit. Für uns auch, in diesem Moment, rückblickend betrachtet. Seinen Kopf haltend, weil er schon so schwach war und dabei versuchend, ihn so zu betten, dass er keine Schmerzen in den athrosegequälten Knochen hatte und dabei wenigstens einen Hauch von Luft bekam.

Als der Tierarzt endlich kam, war er eigentlich schon überflüssig geworden. Und dann ging es tatsächlich schnell.

Wie wenig es das Ende für ihn war, das ich ihm gewünscht hatte. Wie gequält sein Gesichtsausdruck unter der später über ihm ausgebreiteten Decke war.

Die Spaziergänge gehen nun flotter, dauern länger, und niemand muss mehr mit dem Auto kommen, um uns einzusammeln, weil einer von uns nicht mehr laufen kann. Und doch sind sie irgendwie weniger schön.

Polly Pocket ist läufig, in diesen Tagen. Und niemanden interessiert das so recht. Niemand hier, der sich plötzlich für sie begeistert, sie, die doch sonst immer nur die geduldete Nervensäge auf der Decke nebenan war. Niemand hier, der die frischen Blutflecken mit hingebungsvollem Schmatzen von den Fliesen leckt. Oder ihr auf Schritt und Tritt folgt.

Der Blechnapf ist ganz unordentlich und schmuddelig, weil niemand die letzten Krümelchen aufliest und das Blech zum Glänzen bringt

Und doch ist es gut so, wie es ist. Ein Tod in ungefähr einer Stunde, ohne Schläuche, Maschinen und weiß-der-Himmel-nochwas, so mancher wünscht sich nichts sehnlicher als dieses. Und wir, wir wären doch niemals mit ihm zum Tierarzt gefahren, solange er noch selbst hineingehen konnte, auf seinen eigenen Beinen, freudig, weil er sich immerzu über alles gefreut hat, um ihn dann umbringen zu lassen. Niemals.




monolog am 20.Apr 10  |  Permalink
Wahrscheinlich gehört ein wenig Qual für unsere Tiere mit dazu, wenn sie sterben. Wäre es nicht so, würden wir uns ewig den Vorwurf machen, uns verfrüht von ihnen gelöst zu haben, sie zu früh zu unserer eigenen Entlastung aufgegeben zu haben.
Ich bin froh, ihn noch kennengelernt zu haben. Und die immerfeuchten Augen beim Sprechen über ihn. Die werde ich nicht vergessen, niemals.

idiotin am 22.Apr 10  |  Permalink
Der Gedanke, er hätte doch noch eine Woche, oder drei Tage... ja, der wäre eklig gewesen.

Das wird sich legen, das Immerfeuchte. Und dann wiederkommen. Da ist ja noch so ein Felltier.

flying turtle am 20.Apr 10  |  Permalink
Wie haben Sie das nur geschafft? Ich habe das vor mir. Sehr absehbar. Ich weiß nur nicht wann. Wie finde ich den Moment? Ich hoffe so sehr, ihn rechtzeitig zu erkennen..
Das ist so schwer..

idiotin am 22.Apr 10  |  Permalink
Ich habe gar nichts geschafft, schaffen müssen. Es ergab sich so. Hätte es sich so nicht ergeben, hätte ich ab dem Tag, an dem er nicht alleine hätte aufstehen können, gewusst, dass es so weit ist.

Machen Sie sich nicht verrückt, die Zeit wird es zeigen. Sie werden erkennen, wann sie handeln müssen. Wenn Sie Glück haben, wir Ihnen dieses sogar abgenommen.