Doch trotz des vielen Wodkas strahlte er so etwas wie Reinheit aus; besonders wenn er lächelte, machten die Fältchen an den Augenwinkeln den Eindruck, als wären sie kleine, das ganze Leben meinende Anführungszeichen.
(aus: Ralf Rothmann, Hitze)
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In Berlin lebt DeLoo in einer leblosen, ihm unvergangenen Vergangenheit ohne Punkt am Ende und ohne den Knall oder das leise Klicken, mit dem eine Tür ins Schloss fällt. Unbeirrbar hält er aufrecht, was nicht mehr ist, hegt und pflegt es unter einer traurigen Schicht dicken, erstickenden Staubs. Und als er das Mädchen Lucilla trifft, da scheint es so, als hätte sein Festhalten an Gestern und Vorgestern einen tatsächlichen Sinn gemacht, denn mühelos lässt sie sich einflechten in alle die alten Bilder, so als gäbe keinen lähmenden Stillstand und keinen schmerzhaften Bruch zwischen Gestern und Heute.
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"Es ist ja falsch zu glauben, daß man im Alter weniger empfindsam wird, Simon, daß einem die Dinge nicht mehr so nahgehen, oder? Das ist eine Lüge, die das Leben uns ins Herz legt, damit wir weitermachen. Immer weiter".
(aus: Ralf Rothmann, Hitze)
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Auch wenn es auf den ersten Blick so scheint, als wären DeLoo, Lucilla, Klappu und Emil und alle die anderen aus der Großküche, die alte Malerin Frau Andersen oder gar die Stadt Berlin kurz nach der Wende die Hauptfiguren in Rothmanns Roman
Hitze, so sind sie doch allesamt nur stets jene, an deren Hand man als Leser Seite für Seite mitgeht. Die wahre Hauptfigur gleicht dem Buch von der ersten bis zur letzen Seite und ist facettenreich, bitter und süß, spannend, unvorhersehbar, eigenwillig, manchmal verschroben und dunkeltraurig, manchmal überschäumend und berstend vor Hoffnung und Licht. Die eigentliche Hauptfigur in
Hitze ist das Leben, wie es einem Tag für Tag begegnet oder begegnen könnte, würde man sich nur die Zeit nehmen, genau hinzusehen und zuzuhören.
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Die Hände in den Taschen, ging er um den Keller herum und näherte sich dem Gartenhaus von der Abendseite. Ziegelrote Rohr- und Kabelschächte, das Rückgrat der Leere; durch die Fensterlöcher konnte man drei Stockwerke hoch in das verkohlte Dachgebälk blicken, zwischen dem ein paar krumm gemauerte Schornsteine in den Himmel ragten. Eine lose Tapetenbahn wehte träge im Wind; in einer Tür, die von einem Abgrund in den anderen führte, steckte noch der Schlüssel.
(aus: Ralf Rothmann, Hitze)
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Ralf Rothmann ist mit
Hitze ein wunderbares Buch gelungen. Ein wirklich wunderbares, an- und berührendes Buch. Ich danke jenem ebenfalls wunderbaren Menschen dafür, mich mit Rothmann bekannt gemacht zu haben. Danke.