Bernhard Schlink: Die Heimkehr
Bernhard Schlink: Die HeimkehrJedesmal kam es mir wieder wie ein Wunder vor, daß die Straße des Lichts, die die Sonne aufs Wasser wirft, ruhig und gleißend in der Mitte und an den Rändern in tanzende Splitter zerspringend, mit dem Schiff mitwanderte. Ich bin sicher, daß schon der Großvater mir erklärt hat, daß das seine optische Richtigkeit hat. Aber noch heute kommt es mir jedesmal wie ein Wunder vor. Die Straße des Lichts beginnt da, wo ich gerade bin.
(aus Bernhard Schlink: Die Heimkehr)


Wer aufgrund des Titels dieses Buches glaubt, dass es, wie bereits in "Bis ich dich finde", um eine Suche geht, hat Recht. Auch hier gibt es einen verlassenen Sohn und einen verschollenen Vater, aber die Hauptfigur des Buches, der Sohn, sucht nicht nach seinem Dad, sondern nach dem Ende eines Romans.

Der Leser begegnet Peter Debauer zum ersten Mal bei dem jährlichen Sommerferienbesuch der Großeltern in der Schweiz. Eine sanfte, stille und warm umarmende Idylle, die im deutlichen Gegensatz zu der disziplinierten und distanzierten Kühle des deutschen Zuhause steht, in dem es nur Peter und seine Mutter gibt.

In der Erinnerung sind die Ferien eine Zeit des ruhigen, tiefen Ein- und Ausatmens. Sie sind die Verheißung eines Lebens des Gleichmaßes. Eines Lebens der Wiederholung, in dem das Gleiche immer wieder und nur ein kleines bißchen anders passiert. Eines Lebens am Wasser, dessen Wellen gleichmäßig anrollen, eine um die andere und doch keine ganz wie die letzte.
(aus Bernhard Schlink: Die Heimkehr)


Durch die Großeltern, welche Peter die Rückseiten zu korrigierender Romanmanuskripte als Mal- und Schmierpapier überlassen, stößt Peter auf den Heimkehrer-Roman: Der Soldat Karl überlebt die Grausamkeiten des Krieges und eine mehr als einmal aussichtslose Flucht. Er findet tatsächlich nach Hause, doch als seine Frau ihm die Türe öffnet, stehen zwei Kinder und ein fremder Mann neben ihr. Hier endet die Geschichte, die weitererzählenden Papierbögen fehlen.

Peter wächst heran, schlägt sich durch ein recht normales und bürgerliches Leben. Er kümmert sich, ohne dazu verpflichtet zu sein, um den Sohn einer ehemaligen Freundin, besucht regelmäßig seine noch immer kühle und distanzierte Mutter, geht seiner ihn nicht wirklich erfüllenden Arbeit in einem Verlag nach und ist oberflächlich zufrieden. Und dann, eines Tages, in einer fremden Stadt, steht er urplötzlich vor dem Haus, welches der Soldat in dem Heimkehrerroman beschrieben hat und Peter will endlich das Ende der Geschichte wissen. Er klingelt, ihm wird geöffnet, er stellt Nachforschungen über die Menschen an, die während Ende des Krieges dort gelebt haben und findet seine große Liebe, welche er kurz darauf kampflos an den heimkehrenden Ehemann verliert.

Zurück in seinem alten Leben, will sich die Zufriedenheit nicht wieder einstellen, nicht einmal oberflächlich. Peter konzentriert sich auf die Suche nach dem Autor des Romans und dem Ende der Geschichte, welche sehr stark an die Irrfahrt des Odysseus erinnert. Weit zurück in die deutsche Geschichte wird Peter dabei geführt und nimmt den Leser mit in die Schrecken des Krieges, setzt ihn dabei aber nur mäßigen Gefahren aus, wofür der eine oder andere sicher dankbar sein wird. Immer stärker kristallisiert sich heraus, dass der Autor des Heimkehrer-Romans ein Mann ist, der sehr gekonnt seine Spuren verwischte. Verschiedene Berufe und Identitäten gestalten die Suche nach ihm zu Peters eigener Odyssee und am Ende stellt sich heraus, dass der Verfasser des Romans, Professor John de Baur, Peters Vater ist, welcher auf eine sehr eigenwillige Weise mit den Schrecken der Vergangenheit umgeht und eine noch eigenwilligere Sichtweise von Gut und Böse hat.


Ich fand Kapitel über die Rolle von Wahrheit und Lüge, Aufklärung und Ideologie im Recht. Oft genug seien Wahrheiten Lügen und Lügen Wahrheiten und schaffe Aufklärung mit der Zerschlagung des einen ideologischen Weltbilds nur Raum für ein anderes. Das heiße nicht, daß es Wahrheit und Lüge nicht gibt. Es heiße, daß wir die Wahrheit und Lüge machen und die Entscheidung, was wahr und was falsch ist, persönlich zu verantworten haben. Auch die Entscheidung, was gut und was böse ist und ob das Böse frei vagabundieren darf oder in den Dienst des Guten treten muß, müßten wir persönlich verantworten. Damit sei mehr und anderes gemeint, als daß wir sie redlich treffen. Der Forderung nach intellektueller Redlichkeit gilt die Verachtung de Baurs. Denn Redlichkeit sie bei einer Entscheidung, die keine Folgen hat, müßig und bei einer Entscheidung, die Folgen hat, zuwenig. Die Entscheidung, Böses im Dienste des Guten einzusetzen, verlange die Bereitschaft, sich selbst dem Bösen auszusetzen.
(aus Bernhard Schlink: Die Heimkehr)



Mich hat vor allem der gekonnte Wechsel zwischen klarer und nüchterner Sprache und wunderschön malerischer Bildersprache fasziniert. Texte, die so komplex sind, dass ich sie mehrmals lesen musste, um sie tatsächlich zu begreifen, oder zumindest, ihren Ansatz zu verstehen, stehen dicht neben solchen, die ich mit einem tiefen Atemzug einatmete.

Die Einfachheit der Hauptfigur macht diese absolut glaubwürdig. Peter Debauer ist kein Held, kein Übermensch, keiner, der alles richtig und gut macht, sondern „einer von uns“. Dass er deshalb langweilig wirkt, verhindert Schlink, welcher auch an den seichten Stellen noch tief erzählt.

Ich muss zugeben, dass mich die eigentliche Geschichte diesen Buches eher weniger interessierte. Dass ich trotzdem bis zur letzten Seite las, ist ein großes Kompliment an Bernhard Schlinks Schreibkunst.