Danzelot: "Eins noch, Junge, was du dir merken mußt: Es kommt nicht drauf an, wie eine Geschichte anfängt. Auch nicht darauf, wie sie aufhört."
Ich: "Sondern?"
Danzelot: "Sondern auf das, was dazwischen passiert."
(Zeitlebens hat er keine solche Plattheiten von sich gegeben. Verabschiedete sich nun sein Verstand?)
(aus: Walter Moers, Die Stadt Der Träumenden Bücher)
Es lag wirklich nicht in meiner Absicht, erneut an ein Buch zu geraten, in dem gesucht wird, es passierte einfach so. Als ich das Buch entdeckte und mitnahm, geschah dieses nicht, weil ich dachte "Ah, endlich mal keine Suche" - worüber das Buch erzählt, dafür interessierte ich mich nur am Rande; ich griff nach dem Buch wegen des fantastischen Bildes auf dem Cover, schlug es auf und fand es im Inneren übersät mit unzähligen, wunderschönen und -samen, märchenhaften Illustrationen. Erst zu Hause entdeckte ich, dass ich ein Buch von Walter Moers in den Händen hielt, jener welcher auch für "Käpt´n Blaubär" und "Das kleine Arschloch" verantwortlich ist. Na toll, dachte ich resigniert, ein kindisch albernes Klamaukbuch...
... und genau das befindet sich in den Seiten: ein kindisch alberner Klamauk. Eine vor feiner Ironie, heiterem Spott und herrlichen Albernheiten strotzende Geschichte, in der Ich-Form erzählt von einem Lindwurm namens Hildegunst von Mythenmetz, der die Lindwurmfest verlässt um nach dem Verfasser eines Manuskriptes zu suchen, welches dem wohl größten Literaten aller Zeiten entsprungen sein muss. Am Sterbebett seines Dichtpaten Danzelot (der Dialog zwischen dem Sterbenden und Hildegunst ist eine köstliche Mischung aus schwarzem Humor und kleinen glitzernden Gedankenperlen) versprach Hildegunst, den unbekannten Autor des Manuskriptes ausfindig zu machen, denn so einen begnadeten Schreiber findet man in ganz Zamonien ganz sicher nicht noch einmal.
Und so macht sich Hildegunst, welcher nie zuvor aus der Lindwurmfeste heraus gekommen ist, auf den Weg nach Buchhaim, der Stadt der Träumenden Bücher.
Logisch, dass ein junger, überaus naiver Lindwurm nicht einfach losgeht, den gesuchten Autor findet, ihm die Hand schüttelt und - zack, ist die Geschichte zuende, zumal die Geschichte in Buchhaim spielt, jener Stadt, welche aus den Nähten zu platzen droht von Büchern aus allen bisherigen Zeiten und in der es unterirdische Labyrinthe gibt und Bücherjäger und Schrecksen und Haifischmaden und Hundlinge und Trompaunenkonzerte und Glühkaffee und Bienenbrot, eine Stadt überdies, welche von Legenden und Mythen und unglaublichen Geschichten geradezu überquillt. Logisch auch, dass Hildegunst, der junge Lindwurm, aufs gemeinste gelinkt wird und in den Katakomben landet, in denen es vor zwielichten Gestalten, mordlustigen Ungeheuern, verrottenden antiken Bücher und tödlichen Fallen nur so wimmelt - aber das ist noch nicht alles, denn der Legende nach soll in den tiefsten Tiefen der Katakomben der Schattenkönig leben, das schrecklichste, unheilvollste und tödliche Wesen überhaupt.
Und das gehört alles wirklich Ihnen?", fragte ich blöde. Der Gedanke, dass so viele Bücher einer einzigen Person gehören konnten, kam mir absurd vor.
"Ja. Ich habe es geerbt."
"Das ist das Erbe der Smeiks? Das Erbe Ihrer - Sie müssen verzeihen, es sind Ihre eigenen Worte - verkommenen Familie? Sie muß doch erstaunlich kultiviert gewesen sein."
"Oh, glauben Sie bitte nicht, dass Kultiviertheit und Verkommenheit sich gegenseitig ausschließen", seufzte Smeik. Er nahm eines der Bücher aus dem Regal und betrachtete es versonnen.
(aus: Walter Moers, Die Stadt Der Träumenden Bücher)
Dass der junge Lindwurm mehr als einmal in unangenehme Schwierigkeiten gerät, ist von Anfang an klar. Dass er auf unglaubliche, unvorstellbare Geschöpfe trifft, während er immer tiefer in das Labyrinth gerät auch. Und dass er am Ende auf den Schattenkönig trifft... ja, auch das ist klar. Dass der Schattenkönig ein unglaubliches, düsteres Geheimnis mit sich trägt, nun, das war zu erwarten.
Es gibt viele Schatten im diffusen Licht der Katakomben von Buchhaim. Schatten von lebenden Kreaturen, Schatten von toten Dingen, Schatten von kriechendem, fliegendem, krabbelndem Getier, das rastlos über die Tunneldecken und Bücherregale tanzt und schon manchen in Angst und Schrecken versetzt oder in den Wahnsinn getrieben hat. Eines nicht fernen Tages sei diese körperlose Gemeinde der anarchistischen Zustände überdrüssig geworden und habe sich ein Oberhaupt gewählt, berichtet die Legende. Schatten auf Schatten hätten sie damals übereinander geworfen, eine Nuance Dunkelheit auf die andere, Umriß auf Umriß gestapelt - bis aus allem zusammen eine halb lebendige, halb tote, eine halb feste, halb körperlose, eine halb sichtbare, halb unsichtbare Zwischenkreatur entstanden war. Ihr Herrscher, ihr Geist, ihr Vollstrecker: der Schattenkönig.
(aus: Walter Moers, Die Stadt Der Träumenden Bücher)
Ein Kinderbuch ist Walter Moers "Die Stadt Der Träumenden Bücher" nicht, denn oftmals fallen Köpfe und fließt Blut, brennt es lichterloh oder wird heimtückisch gemeuchelt. Aber ein Buch für Erwachsene ist es, für solche, die noch irgendwo in sich drin ein albernes Kind beherbergen, welches sich liebend gerne in abenteuerlichen Schauergeschichten verlieren möchte und sich auch kniehohe, birnenförmige Zyklopen vorstellen mag, welche Literatur nach ihrem Kaloriengehalt sortieren, um beim Lesen nicht unnötig fett zu werden.
Ich habe dieses Buch erst wegen seiner liebevollen Zeichnungen geliebt und später dann wegen der liebevollen, köstlich albernen Geschichte, welche mich an vielen Stellen lauthals auflachen liess.
Das war wirklich großartig, meine geliebten Freunde! Es reichte nicht, dass der Schattenkönig mich in Lebensgefahr gebracht hatte, nein, jetzt mußte er auch noch anfangen, Kalenderweisheiten abzusondern.
(aus: Walter Moers, Die Stadt Der Träumenden Bücher)
Wer Geschichten mag und sich gerne einmal entführen lässt, fort vom ewig sinnierenden und lamentierenden Ernst des Lebens, der sollte sich von Hildegunst von Mythenmetz mitnehmen lassen...