"Abseitsfalle!", rief der Torhüter
Nach dem 36. Sportkilometer in dieser Woche, und man schaue auf den Kalender, es ist erst Dienstag, die schmerzenden Muskeln unter einer extraheißen Dusche zu entspannen versucht und trotz der Schmerzen innerlich gelacht, denn darauf bin ich stolz, dass ich - niemals wirklich sportlich aktiv als Kind, Teenager und auch nicht danach - in meinem doch eher nicht mehr jungen Alter und innerhalb von knapp zweieinhalb Jahren auf diesem Trainingslevel angelangt bin, stundenweise Ausdauersport auf hohem Niveau zu betreiben und dabei noch eine Steigerung herausarbeiten zu können. DAS soll mir erstmal eines von den Was-geht-ab?-Küken im Sportstudio nachmachen, und dabei nicht über 150 Puls kommen oder nach 30 Minuten hechelnd vom Crosstrainer fallen. Ha! Haa!
Dieser Gedanke, mein Stolz auf diese doch großartige Leistung, mildert zumindest ein wenig das neuerdings immer wieder auftretende Gefühl, ausgemustert zu sein. An die Seite gestellt, dort, wo ich nicht bereits vor Jahren schon (und freiwillig) zur Seite getreten bin. Ich bin nicht mehr Zielgruppe der dreckselendigen, kitschig-bunt-albernen Werbeblöcke in den Medien, noch der balzlastigen Mode in allen Jahreszeiten. Die tuschelnden Teenagergrüppchen unterbrechen ihr gekichertes Geflüster nicht mehr, wenn ich nahe, denn ich bin in ihren Augen keine Person, sondern ein Zustand. Einer, um den man sich keinerlei Gedanken machen muss und daher einfach ignoriert.
Meine Kinder - man achte auf die Mehrzahl, denn eines war mir damals zu wenig, das wäre ja dann ganz alleine, bin ich erstmal alt oder gar tot, das kam mir fürchterlich vor und daher musste ich zwei gebären, die sich später einmal liebhaben und stützen und füreinander da sein können (haha, guter Witz!) - bezeichnen mich entweder als Höllenhausmutter und zeigen mit dem Finger auf mich, auf eine Art, die für mich so heftig ist, dass sie über den Level des Wehtuns schon weit hinaus ist und mich in die Gefühllosigkeit katapultiert hat, oder gehen mir aus dem Weg, weil ich ja gar keine Ahnung davon habe, was "da draußen" los ist, worauf es "da draußen" ankommt und wie man sich am besten "da draußen" durchlaviert.
Der Eine, der immer und allem zum Trotz, egal, was ich getan oder nicht getan habe, mir gegenüber eine gewisse Bewunderung, ja, sogar Anbetung an den Tag legt, an mir festhält, manchmal so sehr, das ich mich unwohl darunter krümme, hält auch an allen anderen Dingen, Situationen und Personen fest, die alles mögliche versprechen, außer einem positiv lebbaren Leben - wenn sie denn überhaupt etwas versprechen, und nicht nur dem Betrachter stumm ins Gesicht glotzen. Und von den Hunden macht einer unterwürfigst alles, was gerade angemessen erscheint, egal, wem er damit einen Gefallen zu tun vermag und der andere, ach, der schaut mich ob meines Mitleides mitleidig an, als wolle er sagen: "Laß mal, alles ist gut." Mitleid ist übrigens die billige Variante von Anteilnahme, die Gratispackung. Das, was man hintergeworfen bekommt.
Diese Sehnsucht, jemandem nah zu sein, ganz nah, ohne Wenn und Aber, ohne sich strecken zu müssen und ohne jene Art von Konsequenz, die hinterher das Vorher bereuen lässt, ist in alledem fortgegangen. Stattdessen ist dort nun ein taubes Gefühl, ein blinder Fleck. Ich habe die Fühler eingezogen und warte auf "bessere Tage". Solche, die nie kommen werden, denn Leben, das ist die Aufgabe, aus dem, was man hat, so viel oder wenig, so schön oder hässlich das auch sein mag, das Beste zu machen, das Schönste. Irgendwas, mit dem man zufrieden und froh ist. Überwiegend zumindest. Und selbst hier kann ich nicht mitreden, bin ich irgendwo an der Seite zu finden, denn ich bin weder zufrieden, noch froh, und irgendwie bin ich gar nichts. Zumindest nichts, für das ich einen Namen wüsste.
Ausgemustert ist wohl nicht das richtige Wort. Abgeschrieben passt besser. Oder noch einfacher: ein Haken dran gemacht und ab ins Archiv. Zum späteren Nachschlagen. Falls nötig. Eventuell.