Donnerstag, 4. März 2010
Schieflagen
Als sie mich fragt, zwischen halboffenen Spindtüren und inmitten dieser Geruchsmischung aus Schweiß, feuchten Handtüchern und frisch aufgetragenem Haarspray, ob ich noch alleine wohne oder zu meinem Mann zurückgegangen bin, da fährt mir kurz ein abwehrendes Stechen durch den Leib. Ich mag nicht an diese Zeit erinnert werden, als nichts mehr das war, was es einmal gewesen ist und nichts sich mehr vertraut, heimelig anfühlte. Damals, als ich lief, nur um zu laufen. Nur nicht stehenbleiben. Keinen Ort als den meinen ansehen und auch keinen Menschen. Damals, als ich bereit war, aufzubrechen und nicht ankommen durfte, anfangs, und es später auch nicht mehr wollte. Nirgendwo. Bei niemandem.

"Ich wohne schon recht lange wieder Zuhause. Bei meinem Mann.", antworte ich und sie nickt kurz und schaut mich lange an. Ich warte, dass sie noch etwas sagt, aber das tut sie nicht. Schweigen. Eines, von dem ich nicht weiß, ob es gut oder schlecht ist. Liegt da Geringschätzung in ihrem Blick? Ein nicht ausgeführtes Kopfschütteln? Wie habe ich auf sie gewirkt, damals, als ich Häfen nur aus Büchern und alten Geschichten kannte? Als ich grundlos lachte und lächelte und eine nicht in mir empfundene Freude und Freundlichkeit vor mir her trug? Als ich oft plötzlich aus einem albernen Gelächter in ein haltloses Weinen sprang und keinen Grund dafür wusste.

"Ich habe Zeit gehabt, damals, in der eigenen Wohnung, eine leere Stelle in mir zu finden. Und dort habe ich mich ein Weilchen ausgeruht. In dieser Ruhe dann auch endlich wieder denken können. Und fühlen. Vor allem fühlen. Und irgendwann habe ich meine ganz persönlichen Prioritäten neu sortieren können.", sage ich schließlich. Sie nickt wieder und dann sagt sie Dinge, die ich ihr, dieser blassen, schmalen und schüchternen Person gar nicht zugetraut habe. Dinge, die mir vertraut waren aus meinen eigenen Gedanken.

Sie fragt nach den Kindern und ich zucke nur hilflos die Schultern. Ein kurzer, knapper Umriss, grob in der Umschreibung, mehr vermag ich nicht zu erzählen. Was nur schief gehen konnte, ist schief gegangen. Und wird immer schiefer. Jeden Tag warte ich auf den großen Knall, der das vollständige Umkippen begleitet. Er kommt nicht, der große Knall, stattdessen immer mehr Neigung in eine Richtung, die ich mir zuende zu denken verboten habe.

"Und sonst so?", fragt sie, als wäre das alles noch nicht genug gewesen. "Ich achte darauf, keinen Leerlauf zu haben. Leerlauf ist nicht gut. Ich muss immer irgendwas zu tun haben, immer irgendwie beschäftigt sein, dann ist alles gut.", antworte ich. Sie nickt erneut ihr stummes Nicken und das Schweigen ist mir nicht mehr unangenehm.

Als ich gehe, mit schmerzendem Knie und noch immer leicht feuchten Haaren, strahlt hellster Sonnenschein durch den Lamellenvorhang, hinter dem rosa betüllte Mädchen ihre ersten Dehnübungen machen. Ich hatte viele dämliche Ideen, in den letzten Jahren, aber mich in diesem Sportstudio anzumelden, war eine meiner besten.



Das muss schon so sein, dass irgendjemand oder irgendetwas es lustig findet, meine körperliche Befindlichkeit jeden Tag ein bisschen tiefer in den Dreck zu treten. Hahaha, ich lache mit, sobald ich kann.