Mittwoch, 26. Mai 2010
Reisen mit Hund
Reisen mit Hund, Mai 2010

"... pöh.... mir isses ja sooooo langweilich ..."



Autobahnfahrten
Geschwindigkeitsschilder, Parkplätze, Ortschaften, Abfahrten. Menschen hinter Lenkrädern, auf Beifahrer- und Rücksitzen. Hechelnde Hunde dicht an Heckscheiben gepresst. Lachende, weinende, schlafende Kindergesichter an Seitenscheiben. Weiße Buchstaben auf blauem Grund, Leitplanken, Hinweisschilder. Kräne, Bagger, mit zartem Grün bewachsene Erdhügel, Trümmerhaufen.

Monotones Motorengeräusch. Gleichmäßiges Schaukeln. Hin und wieder ein Holpern, Ruckeln. Zwischen stummem, friedlichem Gedöse gehen Gedanken auf ihre eigene Reise. So, wie Landschaften und Umgebungen vorüberfliegen, ein Kommen und Gehen in ein und demselben Moment, fliegen Bilder, Gesichter, Worte, Gedanken vorüber. Erinnerungen an Elend, an Glück und Pseudo-Glück. An Lachen und Hoffen, an Sehnsucht, Wünschen, Wollen. Und an Trauer, Tränen, Vergehen, Hoffnungslosigkeit.

Erinnerung daran, wie ich seinerzeit fast zerbrach an den Wendungen, die mein Leben mit und auch ohne mein Zutun genommen hatte. Die Wochen in der Sicherheit der Klinik, in der die Welt da draußen keinen Zutritt hatte, solange ich diesen nicht gewähren konnte. Nicht wollte. Daran, wie ich nicht mehr weiter wusste, nicht weiter konnte und den letzten, den endgültigen Schritt dennoch nicht tun konnte. Nicht wollte. Wie das war, als ich die Zügel aus der Hand legte und mir in diesem Moment nichts mehr gewünscht hatte, als das jemand sie aufnimmt und alles für mich klärt, das ich nicht klären konnte. Daran, wie gerne ich da wieder das Kind gewesen wäre, dem man sagt, was es tun soll und wie.

Mir ist Monate später verziehen worden. Meine Verzweiflung, mein hilfloses Ummichschlagen wurde mir gnädig in mildem Tonfall verziehen. Von jemandem, dem ich nicht verziehen habe. Bis heute nicht. Dieses Fallenlassen, als ich gar mehr nicht tiefer fallen konnte. Als ich elendiger heulte als ein krankes Wolfsrudel unter einer zerbrochenen Mondsichel. Ich habe nicht verziehen. Nicht verzeihen können. Das ist es, weswegen die Wunde nicht gänzlich verheilt. Bis heute nicht. Darum reisst sie manchmal ein klein wenig frisch ein. In unachtsamen Momenten. Auf stundenlangen Autobahnfahrten.

Namen von Städten, die ich bereist habe, tatsächlich, und von solchen, die ich nur von Karten kenne. Städte, deren Namen ich mir gemerkt habe, aus diesem oder jenem Grund.
Oy (Mittelberg). Steven Kings "Der Dunkle Turm" und die Stunden, in denen ich nach ihm gesucht habe, weil Suchen etwas ist, das mir sehr liegt.
Würzburg. Sehr seltsam. Paranoid, würde ich fast behaupten. Später habe ich darüber lachen können. Schallend.
Frankfurt. Hier lebt jemand, dem ich eine Antwort schuldig blieb, was mir sehr leid tut, aber ich nicht ändern kann, weil ich keine Antwort weiß und ich Banalitäten hier nicht abladen mag.
Dortmund. Da wollte ich einmal aus einem Zug aussteigen, ließ es dann aber bleiben, weil ich nicht erwartet wurde.
Kassel. In diese hässliche Stadt wäre ich fast umgezogen, aber dann kam alles ganz anders. Der Neuanfang endete, bevor er beginnen konnte. Nur deshalb durfte ich eines Tages nach Hause gehen und der Schlüssel passte noch ins Schloss.
Göttingen. Welch gräßliche, abscheuliche, langweilige Stadt. Welch liebenswerte, charismatische, charmante Stadt inmitten von herrlichem Grün. Hätte ich eine Heimat, wäre sie wohl hier. Ja, hier wäre sie wohl.

Die Reise ist zuende, der Heimweg dauert an. Vorbei an Feldern, Wiesen, Flüssen, Brücken zwischen Ufern, Städten. Willkommen. Aufwiedersehen.

"Lebwohl, Lebwohl."

Lebwohl. Jeder, wie er möchte. Jeder, wie er kann. Die Fugen zwischen Möchten und Können sind ein Zement aus Sehnsüchten, Hoffnungen und Erinnerungen.